Chinesische Unternehmen

Lange habe ich mich – zurecht – aus dem chinesischen Aktienmarkt herausgehalten. Denn eine der wichtigsten Börsenweisheiten von Warren Buffett lautet:

Bleib in Deinem Kompetenzbereich!

Und China ist nun wirklich nicht mein Kompetenzbereich. Eine weitere von Buffett’s Investment-Grundsätzen lautet:

Good business, good people, good price.

Mit den „good people“ meint er vor allem das Management, das integer sein und das Wohl der Aktionäre im Sinn haben muss. Ich denke aber, dass es ganz im Sinne Buffett’s wäre, die „good people“ auch auf die Regierungen der Länder zu beziehen, in denen die Unternehmen tätig sind. Denn jedes Unternehmen ist von den rechtlichen Rahmenbedingungen, die in einem Land herrschen, abhängig. Immer wieder beklagen deutsche Unternehmen die fehlende Rechtssicherheit in Schwellenländern, das gilt besonders für Autokratien und daher auch für China. Daher sind Investments in Schwellenländern immer mit besonderen Risiken behaftet, die zu einem dauerhaften Preisabschlag führen. Es ist also immer Vorsicht geboten bei vermeintlich günstigen Preisen in solchen Ländern. Meistens haben sie einen guten Grund.

Risiken bei chinesischen Unternehmen

Hätte ich diesen Artikel vor wenigen Jahren geschrieben, wäre er sicherlich kontrovers aufgenommen worden. Risiken hätte wohl jeder gesehen, aber die Konsequenzen daraus für das eigene Handeln wären sehr unterschiedlich ausgefallen. Auf der Seite der Befürworter von Investments in chinesische Unternehmen gab es zu dem Zeitpunkt Aussagen wie „Es ist ein größeres Risiko, nicht in China dabeizusein als in China dabeizusein.“ und „Die chinesische Regierung kann ja kein Interesse daran haben, den eigenen Unternehmen nachhaltig zu schaden.

Heute sind wir in beiderlei Hinsicht schlauer. Im Nachhinein betrachtet hat der chinesische Aktienmarkt in den letzten Jahren schlechter performt als die Märkte der westlichen Industrienationen. Es war also tatsächlich besser, in China nicht dabeizusein. Auch die zweite Aussage wurde inzwischen widerlegt. Die gesamte Branche der privaten Bildung / Schülernachhilfe wurde mit einem Schlag zerstört, und es ist erklärtes Ziel der Kommunistischen Partei Chinas (KPC), Macht und Größe der großen Digitalunternehmen nachhaltig einzudämmen. Das Online-Gaming wurde signifikant eingeschränkt. Es gibt viele weitere Beispiele dieser Art. Alle diese Geschäfte werden zweifellos dauerhaft verboten bzw. eingeschränkt bleiben, der Schaden ist eingetreten und er ist nachhaltig.

Spätestens heute muss man nochmal daran erinnern, dass die chinesische Regierungsform weder Demokratie noch Kommunismus ist, sondern eine Diktatur. Und in einer Diktatur besteht das oberste Ziel der Regierung immer im eigenen Machterhalt / Machterweiterung. Alles andere ist nachgelagert oder Mittel zum Zweck. Insofern kann man ein Investment in China analog sehen zu einem Investment in ein Unternehmen, bei dem das Management nicht die Interessen der Aktionäre, sondern nur die eigenen Interessen im Sinn hat. Ob dann für die Aktionäre auch noch etwas abfällt, ist eher Zufall. Eine solche Konstellation ist für ein Investment grundsätzlich zu wenig.

Aber schauen wir uns einmal die konkreten Risiken an, die mit einem Investment in China einhergehen.

VIE Strukturen

Das größte Problem an allen chinesischen Unternehmen sehe ich in den „Variable Interest Entity“ (VIE) Strukturen. Diese sollen das Problem lösen, dass man als nicht-chinesischer Investor aufgrund chinesischer Gesetze höchstens 50% Eigentum an den Unternehmen erwerben kann. Die restlichen 50% Anteil am operativen Geschäft der Unternehmen sollen dem Investor durch vertragliche Vereinbarungen, den VIEs, garantiert werden. Wie das genau aussieht, ist z.B. hier erklärt.

China hat diese Konstruktion offiziell nie anerkannt. Das ist nicht verwunderlich, da diese Strukturen ja das erklärte Ziel haben, die chinesischen Gesetze zu unterlaufen. Es ist daher fraglich, inwieweit diese Rechte im Konfliktfall eingefordert werden könnten. Auf der verlinkten Website ist das Fazit zu finden:

China relies on external capital to fund their continued development. By undermining the confidence in capital markets, they would be threatening the flow of capital and causing as much harm to themselves as foreign investors. On the basis of economic self-interest, the VIE structure looks safe for now.

„Ihr Wort in Gottes Ohr“ möchte man sagen, nachdem wir nun in diesem Jahr an den massiven und recht willkürlichen Eingriffen der KPC eindrücklich gesehen haben, zu welchen Maßnahmen sie fähig und bereit ist, auch wenn es den „eigenen“ Unternehmen schadet. Noch wurden die VIE-Strukturen nicht infrage gestellt, aber eine Garantie für die Zukunft gibt es nicht.

Börsenlisting in den USA: ADRs

Ein zweites Risiko betrifft die Börsennotierung chinesischer Unternehmen an US-Börsen. Diese erfolgen nicht als echte Aktien, sondern als sogenannte „American Depository Receipts“. Diese verbriefen die 50% Eigentumsrechte an den chinesischen Unternehmen sowie an den VIEs. Hier ist der Konflikt zwischen der amerikanischen Börsenaufsicht SEC, die von den ausländischen ADR-Unternehmen die gleiche Transparenz wie von den US-Unternehmen fordert, und der KPC bereits eskaliert. Denn die KPC hat es den chinesischen Unternehmen untersagt, diesen Transparenzpflichten nachzukommen. Viele chinesischen Unternehmen haben daher inzwischen ein Zweitlisting an der Börse HongKong aufgenommen. Neue IPOs von chinesischen Unternehmen an US-Börsen kommen praktisch nicht mehr vor, da die KPC diese inzwischen untersagt. Man muss damit rechnen, dass der Handel von chinesischen Unternehmen als US-ADRs bald nicht mehr möglich sein wird. Von einer Investition in dieses Vehikel würde ich daher auf jeden Fall absehen.

Großunternehmen

Seit Alibaba-Gründer Jack Ma sich bei der KPC unbeliebt gemacht hat, hat die KPC mit einer Welle von neuen Regulierungen und faktischen Enteignungen reagiert. Der Börsengang von Alibaba’s Fintech-Tochter ANT Financial wurde kurzerhand abgesagt. Darüber hinaus wurden große Unternehmen unmissverständlich aufgefordert, hohe Milliardenbeträge zu spenden. Unter dem Stichwort der „Common prosperity“ wurde großem Reichtum bei einzelnen Personen und Unternehmen der Kampf angesagt. Auch bestimmte Firmenübernahmen wurden aus diesem Grund untersagt. Für Xi Jinping war es offenbar ein Schreckmoment, als ihm das Selbstbewusstsein und die Macht der Großkonzerne bewusst wurde. Man muss daher davon ausgehen, dass er in Zukunft immer wieder dafür sorgen wird, dass ihm kein Großunternehmen und kein Konzernlenker gefährlich werden kann. Keine guten Aussichten für die Großkonzerne.

unerwünschte Branchen

Neben Großunternehmen sind auch bestimmte Branchen unter Beschuss geraten. Als erstes war der Bereich private Bildung / Nachhilfe betroffen, für den chinesische Familien mitunter einen hohen Anteil ihres monatlichen Einkommens aufgewendet haben. Meine Wahrnehmung ist, dass das Geschäft aus folgenden Gründen inzwischen nur noch ehrenamtlich ausgeübt werden darf:

  1. Reiche Familien konnten sich mit Geld einen Bildungsvorteil erkaufen und dadurch mittelfristig noch stärker und mächtiger werden. Das ist natürlich eine Bedrohung für den Alleinherrschaftsanspruch der KPC.
  2. Ärmere Familien gerieten unter Druck, im Wettlauf um die beste Bildung mitzuhalten und mussten deshalb einen hohen Anteil ihres monatlichen Einkommens für die Nachhilfe ihrer Kinder aufwenden. Dies zementierte die Ungleichheit und hätte zu sozialen Unruhen führen können, was nach dem Alleinherrschaftsanspruch die größte Sorge der KPC ist.
  3. Der lachende Dritte in diesem Bildungswettlauf waren wenige Unternehmen, die wiederum Reichtum und Macht anhäufen konnten => von der KPC unerwünscht.
  4. Die KPC drohte durch den steigenden Anteil an privat organisierter Bildung den Zugriff auf die Kinder zwecks Indoktrinierung der kommunistischen Ideologie zu verlieren. Dass dies ein wichtiger Punkt war, sieht man daran, dass nun ein neues Schulfach „XiJinping-Kunde“ eingeführt wurde. Der staatlich organisierte Personenkult aus der längst überwunden geglaubten Mao-Zeit ist damit wieder zurück in China.

Neben der Nachhilfe sind auch Computerspiele und die gesamte Unterhaltungsindustrie ins Kreuzfeuer geraten. Kinder dürfen jetzt nur noch 2 Stunden pro Woche mit Gaming verbringen. Die Gründe dazu sind in diesem Artikel ausführlich erläutert. Letztlich geht es darum, die kommunistische Diktatur als Gegenentwurf zum freien westlichen Lebensstil zu festigen.

Ergänzung 17.10.2021: Wie umfassend die Eingriffe der KPC in verschiedenste Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens sind und welche ideologischen Gründe dahinterstehen, beschreibt dieser gestern erschienene Zeit-Artikel einer chinesischen Autorin.

Investierbare chinesische Aktien

Angesichts der genannten diversen Risiken kann man keinem chinesischen Unternehmen „Investment Grade“ zuschreiben. Denn zumindest das fundamentale Problem der VIE-Strukturen kann man als nicht-chinesischer Investor nicht umgehen. Zudem bleibt man auch in Zukunft der Willkür der KPC ausgeliefert. Man kann nie wissen, welches Unternehmen oder Branche als nächstes zur Zielscheibe werden. Damit kommt man in China über den Junk-Grade grundsätzlich nicht hinaus.

Das Risiko der US-ADRs kann man jedoch umgehen, indem man auf die Zweitlistings in Hong Kong ausweicht.

Mit den Großunternehmen fallen die bekanntesten Namen wie Baidu, Alibaba, Tencent, Netease, JD und Pinduoduo ebenfalls aus dem Anlageuniversum heraus. Ausnahme könnte Baidu sein, die mit einem Marktwert von 50 Mrd $ erst mittelgroß sind und bisher auffällig geschont wurden. Das könnte daran liegen, dass Künstliche Intelligenz zu den strategischen Branchen zählt, in denen die KPC in den nächsten Jahren weltweit führend werden möchte („Made in China 2025“ Programm).

Aufgrund einer problematischen Branche (Gaming) sind Tencent und Netease ebenfalls zu meiden. Inwieweit der große Bereich des E-commerce bedroht ist, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen. Stand heute ist meine Wahrnehmung, dass er bisher nicht im Fokus steht, da er der kommunistischen Ideologie grundsätzlich nicht zuwiderläuft. D.h. ich vermute, dass JD und Pinduoduo wg. ihrer Größe und nicht wg. ihrer Branche ins Visier der KPC geraten sind.

In Summe habe ich für mich das noch sehr kleine E-commerce-Unternehmen Baozun als mögliches China-Engagement herauskritallisiert. Eine weitere Möglichkeit wäre theoretisch JOYY, jedoch nur falls der schon Ende 2020 vereinbarte Verkauf seines chinesischen Live-Streaming-Geschäfts (YY Live) an Baidu doch noch genehmigt werden sollte. Denn dann hätte JOYY kein China-Geschäft mehr. Im Moment sieht es jedoch nicht danach aus.

Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht der genannten chinesischen Unternehmen und ihren China-spezifischen Risiken.

 VIE-StrukturErstnotizZweitnotizMarktwert Sept 2021
/ Mrd $
Branche
AlibabajaNYSE (ADR)HongKong434,2wie Amazon: E-commerce-Plattform, Cloud-Anbieter
BaidujaNASDAQ (ADR)HongKong47,3 wie Alphabet: Internet-Suche, Video-Streaming, KI, Autonomes Fahren
BaozunjaNASDAQ (ADR)HongKong1,7wie Shopify: E-commerce-Technologie
JOYYjaNASDAQ (ADR)keine4,2Live-Streaming
NeteasejaNASDAQ (ADR)HongKong58,5Online-Gaming
PinduoduojaNASDAQ (ADR)keine135,0E-commerce-Plattform
Ping An InsurancejaHongKong (H)Shanghai (A)141,2Versicherungen
TencentjaHongKongNASDAQ (ADR)612,6Soziales Netzwerk, Online-Gaming, Payment, Musik-Streaming

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